Gruppenbildung und typisches Verhalten von Kindern in Gruppen

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Gruppenbildung und typisches Verhalten

Gruppenbildung und typisches Verhalten von Kindern-ein spannendes Thema für alle Interessierte der Kindheitspädagogik. Kennen Sie die typische Situation, neu in einer Gruppe zu sein und dabei gemischte Gefühle zu haben?  Einerseits verspürt der Mensch eine gewisse Unsicherheit und befürchtet evtl. von der Gruppe nicht gut aufgenommen zu werden, andererseits herrscht auch Spannung und Neugierde auf das neue Umfeld. Diese Zustände werden dann entweder abgemildert oder verschärft–je nachdem wie die Gruppenmitglieder miteinander umgehen. Besonders bei Kindern stellt die Entstehung einer Gruppe eine ganz sensible Phase dar,  die von Pädagogen behutsam begleitet und unterstützt werden muss. Wie kommt es überhaupt zu einer Gruppe und welches Verhalten von Kindern ist dabei typisch? Mit diesen und ähnlichen Ausgangsfragen beschäftigt sich der folgende Beitrag.

Der berühmte Spruch von Aristoteles: „Das Ganze ist mehr als die Summe ihrer Teile“ hebt die grundsätzliche Bedeutung der Gruppe hinsichtlich der sozialen Interaktion hervor. Die Gruppe hat einen wichtigen Einfluss auf die Sozialisation der Kinder, deren sich Eltern sowie pädagogische Fachkräfte bewusst sein müssen. Innerhalb dieser lernen Kinder miteinander zu kommunizieren, zu spielen, Konflikte auszutragen und zu ertragen, sich wieder zu vertragen, sich zu unterstützen und neben einer eigenen Identität auch Gruppenidentitäten zu entwickeln.

Um dieses Bewusstsein zu entwickeln, ist das Wissen um die Entstehung von Gruppen erforderlich. Das 5 Phasenmodell von Bernstein und Lowy aus dem Jahre 1975 beschreibt den jeweiligen Entwicklungsstand einer Gruppe. Kommen Kinder im Herbst in eine neue Kindergartengruppe ist von der eingangs erwähnten Gefühlsambition die Rede. Hierbei spricht man von der Fremdheitsphase. Da sich die Kinder zunächst nicht kennen, spielen sie in dieser Phase oft alleine und orientieren sich an anderen oder an den Erwachsenen, von denen sie sich Sicherheit versprechen.

Sobald sich erste Annäherungsversuche vollziehen und erste interaktive Komplikationen, die man auch Machtkämpfe nennt, entstehen folgt die sogenannte Orientierungsphase. Hier versuchen die Kinder, sich in der Gemeinschaft zu behaupten und ihren Platz zu suchen. Das kann sehr unterschiedlich aussehen: Manche Kinder machen Vorschläge, sprechen überall mit, greifen andere an, machen Witze; andere sind ganz ruhig, zurückhaltend, scheu, wissen alles, sprechen sehr gewählt usw. Dadurch kommt es zur ersten gegenseitigen Wahrnehmung, durch den ein Netz von Beziehungen resultiert.

Nachdem langsam jedes Kind seinen Platz in der Gruppe gefunden und die Stärken sowie Schwächen der anderen kennt und akzeptiert hat, spricht man als drittes von der Vertrautheits- und Intimitätsphase. Das klassische „Wir-Gefühl“, das von typischen zusammengewachsenen Gruppen bekannt ist, tritt in dieser Phase ein. Es wird beobachtet, wie die Gruppenmitglieder gemeinsame Planungen, Entscheidungen sowie Kompromisse treffen können und die Gruppenstruktur sich stabilisiert.

Eine nächst höhere Stufe ist die Differenzierungsphase. Diese unterscheidet sich von der dritten Phase hinsichtlich der Eigenverantwortlichkeit. Die Gruppe ist nun imstande, Konflikte ohne erwachsene Mithilfe zu lösen. Diese Phase bildet den Idealzustand einer Gruppe, da sie in dieser Form zu großen Leistungen fähig ist. Außerdem wird jedes Kind als eine eigenständige Persönlichkeit akzeptiert. Das heißt, trotz der unterschiedlichen Charaktere, die innerhalb einer Gruppe aufeinander treffen werden Konflikte vermieden bzw. erst gar nicht ausgetragen. Ganz im Gegenteil wird jedes Kind als Chance und als Motor für Veränderungen betrachtet. Weil jedes Kind so sein darf, wie es ist und nicht auf eine bestimmte Rolle festgeschrieben wird.

Zum Schluss folgt die Auflösungsphase. Wie der Name schon sagt, steht hier die Trennung voneinander an. Meistens ist diese verbunden mit dem Austritt aus dem Kindergarten oder dem Wechsel der Kindergartengruppe nach Ende eines Jahres. Ähnlich wie in der ersten Phase lassen sich widersprüchliche Emotionen, wie Abschiedsschmerz aber auch Vorfreude auf etwas Neues erkennen. Über die Bedeutung der Gruppe für jeden einzelnen wird nachgedacht und ggf. reflektiert.

Zum kurz angerissenen Phasenmodell muss abschließend erwähnt werden, dass über die Dauer und Tiefe der Beziehungen nichts ausgesagt werden kann. Die einzelnen Phasen laufen in der Wirklichkeit nicht genauso und nicht immer in der beschriebenen Reihenfolge ab. Es erleben auch nicht immer alle Gruppenmitglieder gleichzeitig dieselbe Phase. Bedeutsam für die pädagogische Praxis ist diese Theorie jedenfalls sehr.  Je nach beobachtetem Verhalten der Kinder in einer Gruppe, können Fachkräfte schlussfolgern, in welcher Phase sich diese befinden und welche Reaktionen darauf angemessen sind. Beispielsweise ist es für die Fremdheitsphase sinnvoll, Unsicherheiten insbesondere der neuen Kinder wahrzunehmen und entsprechend Regeln zu setzen und einzuhalten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, auf den ein Auge geworfen werden muss, ist die Integration von insbesondere schüchternen Kindern, die vor allem in der Orientierungsphase im Gefälle von Machtkämpfen der Gefahr unterliegen, schnell in Außenseiterrollen zu geraten. Als Gruppenleitung kann des Weiteren für die Differenzierungsphase abgeleitet werden, dass eine weitere strenge Kontrolle der Gruppe nicht mehr vonnöten ist. Stattdessen sollte Hilfe zur Selbsthilfe gewährt werden, indem nur bei Bedarf eingegriffen wird. Diese Beispiele zeigen, inwiefern das Wissen über die Gruppenbildung fundamental für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung ist, da diese u.a. erste prägende Erfahrungen bezüglich der gesellschaftlichen Rollenfindung ermöglicht.

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